Gastronomie: Zweifel an Signalwirkung des Gastro-Kontrollbarometers – Staatliches Hygiene-Siegel startet voraussichtlich 2012
(Berlin, 19. Mai 2011) Überflüssig oder überfällig? Im Vorfeld der für heute zu erwartenden Entscheidung der Verbraucherschutzminister der Länder „pro“ staatlichem Hygiene-Siegel für die Gastronomie schlagen die politischen Wogen hoch. Die „Restaurant-Ampel“ sei zügig umzusetzen, fordern die Verbraucherzentralen. Im Gastro-Siegel-Vorreiterland Nordrhein-Westfalen kämpft man um die Zustimmung aller Bundesländern. Und der Dehoga-Bundesverband ätzt: Die Ampel müsse gestoppt werden, denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht gewahrt. Dabei ist nicht klar, ob die Signalwirkung des geplanten „Hygiene-Kontrollbarometers“ stark genug sein wird.
Im Vergleich zum „Gastro Smiley“ aus dem Vorzeigeland Dänemark mutet der deutsche Kompromissvorschlag geradezu kompliziert an: Auf einer farblich markierten Skala von 1 bis 80 Punkten soll das Ergebnis punktgenau markiert werden. Wer die Mindestanforderungen nicht erreicht, landet im roten Bereich. Mittelprächtige Kontrollergebnisse liegen irgendwo auf dem gelben Balken. Und Hygiene-Meister bekommen eine Markierung auf dem grünen Sektor. Da mehrere Kontrollbereiche dargestellt werden müssen, erschließt sich das finale Prüfungsergebnis nicht auf einen Blick.
Zum Vergleich: Das staatliche Hygienekontroll-System in Dänemark wendet den auch in Berlin-Pankow bekannten „Gastro Smiley“. Lacht das Gesicht ist alles in Ordnung. Schnute nach unten bedeutet Probleme.
Klar wird nun, dass ein staatliches Gastro-Hygienekontrollsystem nicht mehr vermeidbar ist. Heute, am 19. Mai, werden die Verbraucherschutzminister der Bundesländer bei einer Sitzung in Bremen voraussichtlich dem seit März vorliegenden Kompromissvorschlag zum „Hygienebarometer“ zustimmen. Eine entsprechende Gesetzesänderung sei bis Jahresende zu erwarten und die bundesweite Einführung ab Anfang 2012 möglich, heißt es. Zunächst soll das Hygiene-Kontrollbarometer in der Gastronomie, dann bei Metzgereien und Bäckereien sowie anschließend im Lebensmittel-Einzelhandel umgesetzt werden.
Doch damit fangen die Probleme an. Laut Gesetzt muss jeder Gastbetriebe mindestens einmal im Jahr auf Einhaltung der Hygienebestimmungen geprüft werden. Doch in der Praxis werde gerade einmal jeder zweite Betriebe im Jahr kontrolliert, etliche davon mehrfach, weist die Berliner Sachverständige und Lebensmittelchemikerin Christina Rempe hin. Die Fachjournalistin für Lebensmittelrecht hat jüngst ihr Fachbuch zum „Lebensmittelkennzeichnungsrecht“ veröffentlicht und genießt u.a. beim führenden Kontrollinstitut SGS Fresenius sowie in staatlichen Fachkreisen hohes Ansehen. Jeder der bundesweit 2.500 staatlichen Lebensmittelkontrolleure könne im Jahr gerade einmal 372 Betriebe checken. Zu wenig, meint Expertin Rempe. Denn insgesamt seien über 75.500 Betriebe zu prüfen. In Dänemark würden über 73 Prozent der Gastbetriebe regelmäßig geprüft – und nicht nur knapp 45 Prozent, wie in Deutschland.
Genau hier setzt der nächste Kritikpunkt an: Können tatsächlich alle Gastbetriebe „zeitnah“ geprüft werden? „Es ist bedenklich, dass beim geplanten Ampel-Konzept der Gastronom keinen Anspruch auf eine zeitnahe Regelkontrolle oder eine Nachkontrolle hat. So kann es nicht sein, dass nach Beseitigung aller festgestellten Mängel eine Negativbewertung im Eingangsbereich den Betrieb jahrelang als schlecht geführt deklariert, auch wenn er inzwischen hygienisch einwandfrei ist. Das ist unverhältnismäßig und setzt die Existenz des Unternehmens aufs Spiel“, kritisiert Ernst Fischer, Präsident des Dehoga-Bundesverbandes. Aufgrund der personellen Ausstattung der amtlichen Lebensmittelüberwachung stehe zu befürchten, dass weder eine flächendeckende noch zeitnahe Nachkontrolle sichergestellt werden könne. „Die Ängste zahlreicher Gastronomen sind groß, durch ein weniger gutes Ergebnis Gäste und Umätze zu verlieren.“
Vor diesem Hintergrund lehnt der Dehoga-Bundesverband auch die geplante Veröffentlichung der Kontrollergebnisse im Internet ab. „Das Internet vergisst nichts. Es ist bekannt, dass eine negative Bewertung, wenn sie sich erst einmal im Netz verbreitet hat, kaum mehr entfernt werden kann“, so Fischer. Ebenso sei es nicht hinnehmbar, dass mit dem Gastgewerbe „quasi als Versuchskaninchen“ gestartet werde. „Es gibt keinen erkennbaren Grund, dieses System zeitlich versetzt einzuführen, da eine gute Hygienepraxis in allen lebensmittelverarbeitenden Betrieben ein Muss ist. Diese Ungleichbehandlung und die damit verbundene Wettbewerbsverzerrung ist inakzeptabel“, sagte Fischer.
Ist denn eine staatliche Hygienekontrolle im Gastgewerbe bundesweit tatsächlich nötig? Wer die Ekel-Fotos der „Negativliste“ des Gastro-Hygiene-Kontrollsystems aus Berlin-Pankow kennt, würde dem umunwunden zustimmen. Da glänzt der Schimmel auf Orangen, modern aufgetaute Shrimps, gammeln Brotreste auf dem Küchenboden oder zersetzen sich Bockwürste im Kühlschrank. Schlimmer geht’s kaum, könnte man denken. Nach dem letzten verfügbaren Bericht des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) lagen angeblich bei 55 Prozent der geprüften Gastbetriebe „Verstöße gegen die Betriebshygiene“ vor. 22 Prozent der Betriebe würden zu wenig wert auf ordentliches Hygienemanagement legen und 18 Prozent hätten gegen die Kennzeichnungspflichten verstoßen, heißt es. Teil dieser „Verstöße“ seien auch zuwenige oder keine erfolgten Schulungen der Gastro-Mitarbeiter, gibt Expertin Rempe zu bedenken.
Weitere Informationen:
Die Restaurant-Ampel: 11 Fragen – 11 Antworten (PDF)
Transparenzsystem (Kurzfassung): Vorschlag für ein nationales System zur Information der Verbraucher über Ergebnisse von Betriebskontrollen der amtlichen Lebensmittelüberwachung (PDF)
Dadurch könnte sich leicht ein Generalverdacht ergeben, geben den sich beispielsweise der fortschrittliche Dehoga-Landesverband NRW zum Beispiel gegen die Aussagen des nordrhein-westfälischen Verbraucherministers Johannes Remmel zur Wehr setzt. Remmel soll sinngemäß mitgeteilt haben, nur die „ehrliche“ Gastronomie sei für die Einführung eines Hygienebarometers. „Damit weckt Herr Remmel den Eindruck, dass der Verband und alle anderen Gastronomen, die berechtigte Kritik an dem einzuführenden System anführen, unehrlich seien und die schwarzen Schafe der Branche decken wollten. Dem ist nicht so“, stellte Klaus Hübenthal, Hauptgeschäftsführer des Dehoga NRW, klar. „Für die allermeisten unserer Mitgliedsbetriebe sind professionelle Gastfreundschaft und Hygiene unteilbar und selbstverständlich. Richtig ist auch, dass die Beanstandungsquote bei den Lebensmittelkontrollen reduziert werden muss. Aber wer von einer Restaurant-Ampel spricht und ein solches System zuerst alleine in der Gastronomie einführen möchte, tut so, als lägen die größten Hygiene-Probleme in der Gastronomie und lenkt von den wirklichen ab“, so Hübenthal.Ob das staatliche Hygiene-Kontrollbarometer, was im Schaufenster oder an der Eingangstür ausgehängt werden muss, dieselbe Wirkung für der dänische Gastro-Smiley entfaltet, bleibt zu beobachten. Nach einer Nielsen-Umfrage von 2007 halten 97 Prozent der dänischen Gäste das Kontrollsystem für eine gute Idee – und auch 88 Prozent der Gastbetriebe. Und immerhin 59 Prozent der Gäste gaben an, bei der Wahl eines Gastbetriebes auf ein positives Testergebnis in Sachen Hygiene Wert zu legen.
Ob das staatliche Hygiene-Kontrollbarometer, was im Schaufenster oder an der Eingangstür ausgehängt werden muss, dieselbe Wirkung für der dänische Gastro-Smiley entfaltet, bleibt zu beobachten. Nach einer Nielsen-Umfrage von 2007 halten 97 Prozent der dänischen Gäste das Kontrollsystem für eine gute Idee – und auch 88 Prozent der Gastbetriebe. Und immerhin 59 Prozent der Gäste gaben an, bei der Wahl eines Gastbetriebes auf ein positives Testergebnis in Sachen Hygiene Wert zu legen.
Daß ein Kontrollsystem auch in der deutschen Gastronomie durchaus willkommen ist, ergab eine repräsentative Befragung des Foodservice-Marktforschungsinstitutes Business Target Group im Herbst vergangenen Jahres. Demnach würden knapp 40 Prozent der Topentscheider in Gastronomie und Hotellerie ein öffentlichkeitswirksames Bewertungssystem für Sauberkeit (Gastro-Smiley) befürworten. Und: Knapp 60 Prozent geben zu, dass es bei Hygienefragen „in Einzelfällen“ Verbesserungsbedarf geben.
Längst etabliert haben sich freiwillige Kennzeichnungen wie der „Gastro Smiley für Qualität und Sauberkeit“ von TV-„Hotelchecker“ Ulrich Jander. Immer mehr Gastbetriebe lassen sich von dem erfahrenen Gastro-Experten auf Herz und Nieren prüfen und auszeichnen. Nicht alle Checks gehen positiv aus. Der durch seine klare Sprache und unnachahmliche Art – just bei zahlreichen TV-Auftritten – beliebte Prüfer fällt durch seine Überzeugungskraft auf. Mit einem eigenen „Hygiene-Smiley“ ist auch der „Qualitätsoptimierer“ Johannes Krahwinkel“ präsent. (car.)
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