Update zum Arbeitsrecht: Wo endet der Flirt, wo beginnt die Belästigung?
Bremen, 05. Juli 2021 – Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurde jede elfte Person zwischen 2016 und 2019 an ihrem Arbeitsplatz mindestens einmal sexuell belästigt. Die Bremer Arbeitsrechtskanzlei Wittig Ünalp stellt zwei prägnante Fälle vor.
Fall 1: Übergriff auf der Betriebsfeier
Besonders auf Betriebsfeiern und anderen teambildenden Anlässen kommt es häufig zu sexuellen Übergriffen. So wie in einem Fall, der im April 2021 vor dem Landesarbeitsgericht Köln verhandelt wurde: Auf einem Teamevent verfolgte ein Arbeitnehmer eine Kollegin bis zu ihrer Hoteltür und küsste sie gegen ihren Willen. Zuvor hatte er sich ihr vor den Augen Dritter zudringlich genähert. Dem Arbeitnehmer wurde nach einem Personalgespräch fristlos gekündigt. Er erhob Kündigungsschutzklage und verlor. Sein Einwand, er pflege mit allen Kolleginnen und Kollegen ein lockeres Verhältnis, überzeugte das Gericht nicht. „Wer auf einer dienstlich veranlassten Reise eine Arbeitskollegin gegen ihren Willen zu küssen versucht und küsst, verletzt – unabhängig von der Strafbarkeit der Tat wegen sexueller Belästigung – seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Absatz 2 BGB), in erheblicher Weise. Ein solches Verhalten ist ‚an sich‘ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen“, entschied das Gericht.
Abmahnung oder Kündigung?
Grundsätzlich fordert die Rechtsprechung vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung eine Abmahnung. „Doch es gibt Fälle – so wie dieser –, in denen das Fehlverhalten von Arbeitnehmern so gravierend ist, dass eine direkte fristlose Kündigung gerechtfertigt ist“, erklärt Maximilian Wittig, Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie Partner der Kanzlei Wittig Ünalp. Sobald Arbeitgebende über einen Vorfall in Kenntnis gesetzt werden, sollten sie Gespräche mit allen Beteiligten und möglichen Zeuginnen und Zeugen führen, um den Sachverhalt aufzuklären. „Dabei ist eine schnelle Reaktion notwendig, um die Mitarbeitenden und das Betriebsklima zu schützen.“
Fall 2: Der Täter im Betriebsrat
Nicht alle Fälle klären sich so schnell: Am Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern musste sich im März 2020 ein Betriebsratsmitglied verantworten, das offensichtlich unerwünschte pornografische Videos an eine Kollegin versendete. Der Arbeitgeber wollte daraufhin das Arbeitsverhältnis beenden. Eine Kündigung kann allerdings nur mit einer Zustimmung des Betriebsrats für wirksam erklärt werden. Dieser weigerte sich. Letztlich musste der Fall vor dem Landesarbeitsgericht geklärt werden. Mit dem Ergebnis, dass die Kündigung rechtens ist. „Diese Geschichte ist ein Skandal“, sagt Maximilian Wittig. „Die Belästigungen ereigneten sich 2016, die wirksame Kündigung erfolgte erst drei Jahre später. Der Täter bezog in dieser Zeit drei Jahresgehälter und das nur, weil der Betriebsrat ihn schützte.“
Hinweise für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber
Häufig stellen sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Frage, welches Verhalten toleriert werden darf und welches nicht. Dabei ist es äußerst einfach: Jedes vom Gegenüber nicht gewollte sexuelle Verhalten stellt einen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten dar. „Hierbei spielt es auch keine Rolle, ob man auf dem Bau oder in einem Büro arbeitet. Es gelten überall dieselben Standards“, betont Maximilian Wittig.
Wichtig ist, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber stets ihre Fürsorgepflicht ernstnehmen. Das bedeutet, dass sie sich bei einem Verdachtsfall nicht nur vor das mutmaßliche Opfer, sondern auch vor den mutmaßlichen Täter stellen müssen, solange nichts erwiesen ist. „Sollte nach den Ermittlungen feststehen, dass es sich um eine sexuelle Belästigung handelt, kann dies nicht nur eine Straftat darstellen, sondern auch arbeitsrechtliche Sanktionen, bis hin zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, nach sich ziehen.“
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