Touristiker suchen Auswege aus dem Kollaps: Experience Design neu in der Debatte – Radikale Umkehr in der Produktentwicklung nötig

Touristiker suchen Auswege aus dem Kollaps: Experience Design neu in der Debatte – Radikale Umkehr in der Produktentwicklung nötig

Wien, 09. Oktober 2017 – “Das Ende des Tourismus, wie wir ihn kennen” stand auf dem Programm eines Networking-Abends, den der Travel Industry Club Austria (TIC) im Wiener Hotel Schani veranstaltet hat. Während manche Destinationen in den Alpen wie am Mittelmeer den explodierenden Touristenströmen bereits den Kampf ansagen, versuchen andere, mit völlig neuen Erlebniskonzepten (Experience Design) die wachsende Sehnsucht der Reisenden nach unvergesslichen Momenten zu stillen. “Allen Experten ist klar: Ohne Neuausrichtung droht der Kollaps”, so TIC-Präsident Harald Hafner.


Der Stellenwert von Inszenierungen in Zeiten zunehmenden Wettbewerbs von Destinationen und Betrieben hat in den vergangenen Jahren immens zugenommen und damit ganz neue Wertschöpfungsketten geschaffen. Gelungene Inszenierungen erzeugen Aufmerksamkeit und sprechen neue Gäste an. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass sich so manche gut zahlende Besucher ebenso wie schlecht bezahlte Mitarbeiter bevormundet fühlen, und sich mangelnde Authentizität und genervte Einheimische gegen die eigentlichen Zielsetzungen des Experience Design wenden, nämlich positive Erlebnisse mit nach Hause zu nehmen. Hier ist entspechendes Augenmaß erforderlich, meint der Tourismusdesigner Martin Schobert.

Schobert hielt in Wien ein flammendes Plädoyer für einen “Tourism reloaded” durch kreative Design-Thinking-Methoden und zitierte hierfür aus der Kopenhagener Destinationsstraegie 2020, einem Acht-Punkte-Programm, das sich die dänische Hauptstadt (http://bit.ly/2kJgaRk) 2017 für einen Neustart ihres Tourismus verordnet hat. Da stehen Sätze wie “Der Gast muss ein Heimatgefühl spüren”, “Einheimische sind die Destination” (nicht Architektur, Kunst und Kultur) oder “Beziehungen machen die Marke”. Es gehe ums “Ermöglichen statt Vermarkten”, Reisende seien keine Zielgrupppen, sondern “all kinds of humans”, der globale Tourismus dürfe nicht zulasten der Lebensqualität der ansässigen Bevölkerung gehen.

Inszenieren, Inspirieren, Insentivieren

Attraktive Umwelt, schöne Begegnungen und außerordentliche Ereignisse sind die drei wesentlichen Faktoren für besondere Erlebnismomente und damit für eine gelungene Reise, betonte Schobert. Für ihn sei das Ende des Themenmarketing und Storytelling gekommen. “Natürliches Erleben” stehe im Mittelpunkt – der Moment, die Dramaturgie und das Drehbuch. Experience Design hilft dabei, die richtigen Schritte zu setzen. Da geht es ums Inszenieren, Inspirieren und Fühlbarmachen von Emotionen, nicht bloß um Theaterspielen. Airbnb Experiences sei etwa das Ergebnis solcher Überlegungen und andere große Buchungsplattformen ziehen nach.

Kundennachfrage entscheidet

Die Podiumsrunde stellte einhellig fest, dass interdisziplinäre Design-Thinking- und Co-Working-Methoden in Zukunft unerlässlich für die Kreation und Entwicklung neuer Tourismusprodukte sein werden. In vielen Bereichen werden digitale Helferlein ebenso wie die zielgerichtete Auswertung der wachsenden Big-Data-Berge dazu beitragen, dass man noch besser auf Kundenwünsche eingeht und die Trial-and-Error-Phase kurz bleibt. Selbst wer Inszenierungen skeptisch gegenübersteht, weil es da nicht selten um Übertreibung, Fake und somit um das glatte Gegenteil von Authentizität geht, werde zugeben müssen, dass der Kunde und seine Nachfrage entscheiden.

Hinweis: Das vom Travel Industry Club Austria empfohlene Buch zum Thema “Experience Design im Tourismus – Eine Branche im Wandel” erscheint 2018 in der Reihe: Forschung und Praxis and der FHWIEN der WKW im Springer Gabler Verlag.

Zentrale Aussagen:

  • Heinz Gressenbauer, Produktentwiklung OÖ Tourismus: “Erlebnisse möglich machen, aber nicht überinszenieren! Wir wollen Hochgefühle für Kunden entwickeln.”
  • Bibiane Hromas, Plattform Architektur im Tourismus: “Authentisches Lebensgefühl am Zielort darf nicht verloren gehen. Natur und Architektur dürfen keine Kulisse werden.”
  • Claudia Bauer-Krösbacher, FH Krems: “Auch die Gärten von Versailles sind Inszenierung. Die Frage ist: Was macht die Inszenierung mit den Menschen, welche Effekte erzeugt sie?”
  • Barbara Neuhofer, FH Salzburg: “Inszenierung ist nur dann gut, wenn sie nicht auffällt. Wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, der Gast kreiert sich das Erlebnis selbst.”